»Böhme im Original« | Ronald Steckel im Gespräch (05/13)
Ein Grundproblem bei der intersubjektiven Vermittlung mystischer Erfahrung besteht bekanntlich darin, dass diese sich dafür auf irgendeine Weise in der Realwelt manifestieren muss, in einem Medium, einer Sprache. Böhme ist dabei mit Blick auf die vorangegangene Tradition insofern zusätzlich herausgehoben, als er seine Offenbarungen noch mehr als andere, etwa ›klassische‹ Propheten (wie der von der Schau der apokalyptischen Offenbarung heimgesuchte biblische Johannes von Patmos) als reine Innenschau ausweist, als Auffindung der Wahrheit rein in sich selbst – worin sich unter anderem der neue, neuzeitliche Mut manifestiert, nicht als Gebildeter zu sprechen, sondern als Einzelindividuum das Wort zu ergreifen. Aber umso mehr scheinen Böhmes Offenbarungsinhalte zunächst ganz an seine Person bzw. – für uns, die wir ihr nicht mehr direkt begegnen können – an deren Sprache als Übersetzungsmedium gebunden. Und diese Übersetzung muss jetzt noch einmal ins Medium Film übersetzt werden. Unter den vielen Möglichkeiten, diese Übersetzung zu konzipieren, entscheidet sich Ihr Film konsequent dafür, Böhme möglichst außerzeitlich, also weder im historischen Kostüm noch in seiner historischen Situation darzustellen, sondern stattdessen Plätze aufzusuchen, die keinen sichtbaren Epochenindex haben, quasi ›noch nicht beschriftete Natur‹ sind. Warum?
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Kaum eine Figur steht so singulär zwischen den Epochen wie der große »Ungleichzeitige« Jacob Böhme (1575-1624). Während Galilei, Francis Bacon und Descartes die modernen Naturwissenschaften und den Rationalismus begründeten, schuf der Schuhmacher aus Görlitz ein Hauptwerk der christlichen Theosophie, das die Philosophen des Deutschen Idealismus sowie Romantiker wie Novalis tief beeinflusste und das bis heute fasziniert.
Hermann Hesse schrieb über Böhme, die Lektüre seiner Texte erfordere »ein vorübergehendes ›Leerwerden‹, eine völlig freie Aufmerksamkeit und Seelenstille«. Der Aufgabe, diese Haltung zu erzeugen, stellt sich das Team um Ronald Steckel im Film »Morgenröte im Aufgang – Hommage à Jacob Böhme«, in dem die Ideen und die bildgewaltige Sprache des »ersten deutschen Philosophen« (Hegel) die Hauptrolle spielen.
Für das Logbuch sprach Johannes Ullmaier mit Ronald Steckel.
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